Klaus-Michael Köhler
Bilder & Texte
Düsseldorf
Schichtwechsel
kommen
SchichtwechselkommenWolfgang war pünktlich, wie immer. Er arbeitete jetzt seit fast 10 Jahren in dieser Gießerei, an die Schichtarbeit hatte er sich gewöhnt. Diese Woche war Nachtschicht und die war angenehmer als im Winter, wenn man im Dunklen kam und im Dunklen wieder ging, den kurzen hellen Tag verschlief man. Das spärliche Licht in der trüben Jahreszeit sah man kaum. Das drückte manchmal gewaltig auf seine Stimmung. Jetzt aber war alles gut. Seine Tochter war am Nachmittag mit den Zwillingen vorbeigekommen, gemeinsam waren sie dann eine Weile auf dem Spielplatz gewesen. Er genoss diese Momente immer, wenn es sich wieder nach Familie anfühlte. Er liebte seine Tochter und seine beiden Enkelkinder. Er hatte sich vorgenommen ihnen ein toller Opa zu sein, seine Tochter zu unterstützen so gut es ihm möglich war. Es war schwer gewesen sich von den Dreien zu verabschieden, aber er musste ja zur Schicht, Familie, mit den Enkeln zu spielen, war für seinen Chef keine Entschuldigung.Wolfgang fühlte sich gut, er hatte ein paar schöne Stunden gehabt.. . .
gehen
SchichtwechselgehenFeierabend. Geschafft, bis zum Abend konnte er sein eigenes Leben führen. Musste nicht immer nach Öfen sehen, Formen zusammensetzen und Gußstücke versäubern. Wenn er sich ein wenig beeilte konnte er die Straßenbahn noch erreichen, er wollte möglichst schnell nach Hause, er war müde. Mit dem Bus, würde die Fahrt 20 Minuten länger dauern und das wollte er heute nicht. Die Stimmung war gereizt gewesen, jeder war pampig. Das hatte er lange nicht mehr erlebt. Wolfgang verstand nicht wie sie sich das Leben gegenseitig so schwer machen konnten, immer wieder blöde Sprüche und dumme Antworten. Sie waren doch alle Kollegen und wollten ihren Job gut machen, das ging deutlich besser wenn man freundlich zueinander war, den Anderen akzeptierte, mal einen Scherz machte.Wolfgang erinnerte das an die letzte Zeit seiner Ehe, keiner fühlte sich mehr wohl. Man ließ alles schleifen und fuhr die Familie sehenden Auges gegen die Wand. Jeder hatte dabei verloren, seine Frau, er und vor allem die Kinder. Es hatte lange gedauert bis er sich davon erholt hatte, seine Tochter war in diesen Jahren sein Strohhalm gewesen, sie hatte ihn unwissentlich in dieser Zeit vor schlimmen Handlungen bewahrt.Unfreundlichkeit und schlechte Stimmung waren immer Anzeichen dass etwas bergab ging, Vorbote des nahenden Endes.Wolfgang hatte die Straßenbahn grade noch erreicht.. . .
Zigarettenpause
SchichtwechselZigarettenpauseEine Zigarette, er musste jetzt eine Zigarette haben. Vor 20 Jahren hatte er das Rauchen drangegeben. Von jetzt auf gleich hatte er aufgehört, der Arzt hatte ihm dringend dazu geraten, wer weiß ob er heute noch hier stehen würde wenn er weiter gequalmt hätte. 2 Packungen am Tag, manchmal weniger. Er warf Zigaretten und Feuerzeug in einen Papierkorb als er aus der Praxis kam. So machte er es immer, ganz oder gar nicht.Es war besser so, seine Geschmacksnerven erholten sich wieder und er schmeckte was er vorher nicht für möglich gehalten hätte. Rotweine entfalteten ihr volles Aroma vor ihm, Wurst, Fleisch Gemüse, ungewohnte Geschmackserlebnisse. Seine Füße wurden auch wieder wärmer und er hatte nicht mehr dieses lästige Kribbeln. Beim Laufen merkte er nichts, eher – im Lauf der Jahre – dass er langsamer wurde und dass die Gelenke anfingen zu schmerzen. Das lag am Essen, am vielen Essen, denn es war nicht mehr das Genussvolle, das Hedonistische, der Frust, die Unzufriedenheit, beide forderten ihren Tribut und so hatte er irgendwann mit dem Laufen aufgehört. Gut war das nicht.Genau so wenig wie die Zigarette gut war. Er hatte es geahnt, die Stimmung war schlecht gewesen in den letzten Tagen, jeder schien etwas zu ahnen, aber keiner hatte etwas handfestes. Bis vor einer Stunde. Der Chef hatte ihnen mitgeteilt, wie schlecht es um die Gießerei stand. Zu wenig Aufträge, billige Konkurrenz, kein Geld für notwendige Investitionen. Es lohne sich nicht mehr. Sie würden die Aufträge noch ausführen und dann wär Schluss, in 6 Wochen – spätestens - wäre der Laden zu und Wolfgang würde mit den Anderen zum Arbeitsamt gehen, mit der Hoffnung irgendwo anders unterzukommen. Ein hoffnungsloser Gang, wer wollte ihn schon, über 50, angelernt für die Arbeit in der Gießerei und verbraucht. Plötzlich keine Zukunft mehr. Zukunft hatte er vorher auch nicht gehabt, aber ihre Illusion. Er verdiente Geld und hatte einen geregelten Tagesablauf, Urlaub und Kollegen. Der Boden war ihm unter den Füssen weggezogen worden, wieder einmal.Gut, dass er keine Familie mehr hatte. Seine Tochter käme auch ohne ihn klar, die Zwillinge würden ihn schnell vergessen, nicht mehr nach Opa fragen und bald gäbe es nur noch paar Geschichten über ihn.Er schnorrte sich eine weitere Zigarette und machte sie an der ersten an. . . . bald wäre er vergessen
Horst
SchichtwechselHorstEinmal in der Woche war es soweit. Seine kleine Flucht auf die andere Seite des großen Flusses und über die Autobahn. In seine Welt, der Ort an dem er sich wohlfühlte. Sein Garten. Es war schön zu säen, zu pflanzen alles wachsen zu sehen, zu ernten. Dort war seine Freiheit, sein Leben.Es war Arbeit. Es gab immer mehr als genug zu tun und es war oft anstrengend. Grade wenn man alleine war. Manchmal taten ihm die Knochen weh und er genoß dann eine kurze Zigarettenpause, gelegentlich ein Ueriges. Bis es dunkel wurde arbeitete er im Garten, Strom gab es nicht. Machte sich dann auf den Heimweg, fiel müde in sein Bett um am nächsten Morgen ins Büro zu gehen, um Geld zu verdienen. Im Büro das war – keine Arbeit, nur Mittel zum Zweck.Heute war prima Gartenwetter, es hatte die Woche genug geregnet, so daß er nicht mit der Gießkanne rumgehen musste. Am Büdchen hatte er sich eine Flasche Ueriges geholt, die wollte er sich heute gönnen. Es lag ja nichts besonderes an im Garten. Es ging auf die Erntezeit zu und er konnte nachher Möhren, Salat und ein paar Bohnen mitnehmen. Ein bisschen Petersilie, Schnittlauch, einen Zweig Salbei und natürlich Bohnenkraut. Vielleicht hatten die Vögel ja noch ein paar Johannisbeeren oder gar Kirschen für ihn dagelassen. Das wäre ein netter Zug von ihnen und für ihn ein Festmahl. Jetzt war er auf der Brücke und sofort war er da, der Lärm der Autos, die auf dem Zubringer zur Autobahn an ihm vorbeirasten. Dieser Kilometer war immer die Hölle für ihn. Er verstand auch nicht wie Fußgänger und Jogger hier lang gehen konnten, sicher es war die einzige Brücke über den Fluß, aber dieser Lärm.Er hatte es gleich überstanden, an der Brückenrampe den Weg hinter der Lärmschutzwand rechts und es war schlagartig ruhiger. Ein paar hundert Meter noch und er war in seinem Refugium, fernab von der anderen Welt.Das Törchen aufmachen, das Rad zum Schuppen schieben, es an die Wand lehnen, Tür und Fenster des Schuppens öffnen damit Licht und Luft hereinkamen und seinem Garten endlich guten Tag sagen indem er einmal herumging, alles inspizierte und sich freute daß alles so gut aussah. Er hatte recht gehabt, der Regen hatte gereicht, der Boden war gut feucht und es roch nach Erde, nach Pflanzen nach Laub, einfach nach seinem Garten.In diesem Augenblick war Horst der glücklichste Mensch der Welt, er genoss dieses Glück, saugte es auf, es war wie ein Rausch. Für Horst war es das pure Sein, wenn er es nicht gehabt hätte würde er eingehen, verdorren, vertrocknen, das wusste er. Der Garten begleitete und führte ihn durch das Leben, war sein Geselle, sein Halt.Außer dem Garten gab es nichts lohnendes, wertvolles.. . .
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